Ein umstrittener Ort der Freude.

Seit fast vier Wochen hat Hamburg ein neues Gesicht. Ein freudiges, stolzes, weltoffenes Juwel strahlt an den Ufern der Elbe – wie ein kraftvolles Symbol für dieses neue und ungewisse Jahr, als wollte es nach all der Zeit der Ungewissheit, des Leidens, der Kritik und den offensichtlichen Fehlplanungen zum Trotze mit einem triumphierenden Lächeln erklären: „Ja, wir haben es geschafft“ – „Yes, we can.“  So kamen zur Eröffnung der Elphilharmonie oder der „Elphi“, wie sie bereits liebevoll genannt wird, der neuen „Grande Dame“ der Konzerthäuser der Welt, wenn nicht alle so aber doch viele: von Joachim Gauck über Angela Merkel und natürlich Olaf Scholz bis zu sehr verschiedenen Personen des kulturellen Lebens wie dem Schauspieler Armin Müller-Stahl oder Matthias Döpfert, dem Vorstand der Springer AG. Und eines war ebenso deutlich wie erstaunlich. Bei dieser Eröffnung eines Bauwerks der Hochkultur waren sich nach so viel Streit und Kritik auch die vielen, die es nicht auf die Plätze im großen Saal geschafft hatten, überaus einig – es war ein Anlass zur Freude, ein Abend voller strahlender Gesichter, die dem großen Eröffnungskonzert der Hamburger Philharmoniker lauschten – wie konnte es anders sein, mit Beethovens „Ode an die Freude“ zum Ausklang. Was aber machte diesen Abend so besonders, dass er aus der ganzen Welt Fernsehteams anreisen ließ, live im NDR ausgestrahlt wurde und die Menschen bei nassem Winterwetter an die Hamburger Landungsbrücken lockte, um das Spiel der Lichter auf den endlich lebendig gewordenen Wänden ihrer neuen „Elphi“ zu bewundern?

Die Geschichte dieses Hauses ist eine eigenartige. Ausgehend von einer fast verrückten Vision eines Architekten, der ein solches Haus auf einem alten Hamburger Kakaospeicher aufbauen wollte, einer Idee, die fast vollständig durch die letzten 9 Jahre hindurch aufrecht erhalten, und durch Kostenexplosionen und Baustopps hindurchgetragen wurde, selbst durch berechtigte Fragen nach der Notwendigkeit solcher Ausgaben, die letztlich an der Stadt Hamburg hängen blieben und sie nun u.a. zur Eigentümerin eines neuen Luxushotels machte, das sie nie wirklich haben wollte. Die bewegten Zeiten dieses Baus hatten echte Tiefpunkte und es bleibt eine nicht zu beantwortende Frage, ob all dieser Glanz auch all dieses Geld rechtfertigt, das ganz sicher in weniger glänzende und doch vielleicht sinnvollere Projekte und Notwendigkeiten hätte fließen können.

Aber nun ist diese Frage nicht mehr anders zu beantworten, das Bauwerk ist fertig und andere Probleme bleiben ungelöst. Aber interessanterweise machte dieser Moment der Fertigstellung die Elbphilharmonie selbst zu etwas Neuem, einem eigenen Phänomen, das seine Geschichte abzustreifen schien. Es wurde im Rahmen seiner Eröffnung zu einem Ausdruck von etwas, das möglich wird, auch wenn es unmöglich scheint, von etwas, das die Kultur und die Schönheit von Architektur so hoch hält, dass sie nicht an wirtschaftlichen und ökonomischen Hürden scheitert und das einer Weltstadt wie Hamburg einen neuen Anziehungspunkt gibt, von der tatsächlich die ganze Welt spricht. Vielleicht ist es gerade das Umstrittene, das diesem Bau anhaftet, was ihm letztlich seine Bedeutung gibt, aber auch das Visionäre und „Unnötige“, das in so vielen Facetten zum Gespräch Anlass gegeben hat. Mit der Elbphilharmonie ist etwas gelungen, was selten geworden ist – und vielleicht gerade deshalb so notwendig: Ein Ort des konfliktreichen „Trotzdem“, der Tradition mit Weltoffenheit und Moderne verbindet, der die Frage nach dem Nutzen von Schönheit eröffnet und mit Musik und Kultur dazu einlädt, eine gemeinsame Sprache zu finden, die über die Grenzen nationaler Identitäten hinaus verstanden wird und der dafür wirbt, den eigenen Zielen Zeit zu geben und zuversichtlich zu bleiben. Dieser Ort schien nur zu zweierlei Möglichkeiten zu taugen: zu einem katastrophalen Scheitern oder zu einem triumphalen Gelingen. Beides wohnte ihm beständig inne und seine Verwirklichung schien hin und wieder wie die Entfaltung einer platonischen Idee, von der man nie sicher sein konnte, ob sie wirklich zum Ausdruck kommen konnte oder doch eher als Schatten an der Wand auf ihre eigene Möglichkeit reduziert bleiben würde. Dabei ist sie nicht nur Erscheinung und Wesen zugleich, sondern auch ein Ort, der ähnlich wie Platons Höhle ein „Möglichkeitsraum“ für die Entfaltung des menschlichen Erkenntnispotentials sein könnte – wohin richte ich meinen Blick, was halte ich für gegeben und was wage ich anzuzweifeln? Welche Impulse bekomme ich, um die Fesseln der gewohnten Blickrichtung zu lösen und den Kopf zu drehen? Ist diese Perspektive für jeden möglich oder nur für wenige, Ausgewählte? Schon diese Fragen brauchen einen Raum, einen Platz oder einen Anlass, der sie ermöglicht, um sich von dort auf den Weg zu machen, um die eigene innere Höhle überhaupt als solche zu erkennen – vielleicht um den Blick gen Himmel zu richten oder um einfach einmal die Umgebung zu wechseln, um die großen Elbdampfer zu betrachten.

Wir werden sehen, was aus der Elphi werden wird – ihr ist ein Anfang gelungen, der in einer Zeit des Zweifelns, der Angst und der Sorge vor politischer Dummheit, vor der Zugkraft alternativer Fakten und postfaktischer Gleichgültigkeit die Kultur als eine Möglichkeit deutlich werden lässt – nicht um Antworten zu finden, aber um Orte zu schaffen, die uns die Kraft geben, weiter zu fragen und weiter nach ihnen zu suchen.

INA SCHMIDT

14.02.2017