Corona lässt die Welt stillstehen. Unvorstellbar, noch vor einer Woche war ich in Rostock unterwegs, auf der Rückfahrt von einer Veranstaltung mit immerhin etwas über 50 Gästen. Danach ging alles ganz schnell, eine Meldung jagte die nächste und nun gilt es bereits herauszufinden, welche Geschäfte wann öffnen, ob wir unseren geliehenen Vertikutierer noch im Baumarkt abgeben können und welche Verabredungen der Kinder in dieser Woche wirklich notwendig sind.
Was noch kommt, wie wir in diesen Wochen uns selbst vielleicht neu und anders einrichten und kennenlernen werden, wird sich zeigen – wir wissen es einfach nicht. All das, woran wir uns als moderne Menschen in Zeiten technischen Fortschritts und Optimierungsbegeisterung gewöhnt haben, greift nicht so recht: Wir wissen schlicht vieles nicht und es gibt keine Möglichkeit auf Beispiele oder schon gemachte Erfahrungen zurückzugreifen. Experten raten, aber mehr können auch sie nicht tun – und erstaunlicherweise funktioniert vieles von dem, was noch vor wenigen Wochen ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wäre: Das öffentliche wie private Leben wird auf ein Mindestmaß zurückgefahren, tiefe Eingriffe in die Freiheit des einzelnen sind zumindest denkbar, geschlossene Grenzen, kaum Reiseverkehr und die Menschen bleiben zuhause – die vollen Terminkalender leeren sich in ungeahnter Schnelligkeit und neben den Streamingmöglichkeiten und der Aufrüstung der Firmenrechner, um im Homeoffice zu arbeiten, werden auch die alten Spielesammlungen entstaubt, Bücherstapel in Angriff genommen, gekocht und im Garten gearbeitet. In sicherer Entfernung, aber: Zusammen.
Das ist wahrscheinlich, worum es derzeit wirklich geht – im Angesicht von einem hohen Maß an Unwissenheit, Unsicherheit und Unprognostierbarkeit von dem, was der „Fall ist“, gilt es Regeln zu finden, denen wir gemeinsam folgen können. Folgen wollen und müssen – es kann nicht um Rechthaben gehen, weil die Möglichkeiten, sich zu irren, zu weitreichend wären, sondern es geht darum sich zu fragen, was wir geltend machen wollen, und das funktioniert nur durch ein hohes Maß an Solidarität und Verantwortung. Verantwortung bedeutet nach Hans Jonas, sich die Sorge um den anderen zur Pflicht machen zu wollen, sie ist der ernstgemeinte Versuch, eine Antwort zu geben, auch auf Fragen und Zustände, die sich jeden Tag ändern und wieder neu aufgeworfen werden, Fragen, die weit über das hinausgehen, was allein unser Wohlbefinden betrifft. Auch das schürt die Verunsicherung gerade in Zeiten, in denen wir Lösungen und Erkenntnisse, Fortschritt und Innovation gewöhnt sind, aber letztlich tritt diese Unsicherheit inmitten einer weitaus umfassenderen Krise auf, an die wir uns bereits ein Stück weit gewöhnt haben und die nicht weniger als die Zukunft unseres Planeten betrifft. Die Ausbreitung des Coronavirus zeigt, wozu wir fähig sind, welche Entscheidungen und Einschränkungen wir binnen kürzester Zeit treffen und auszuhalten bereit sind, wie die Panik uns ergreift, von der sich Greta Thunberg vor wenigen Monaten gewünscht hat, sie möge uns alle im Angesicht des Klimawandels ergreifen.
Nun sind Angst und Panik keine besonders guten Ratgeber, wie wir alle wissen, auch Klopapier und Nudeln in rauen Mengen werden uns keine Sicherheit garantieren, egal welcher Bedrohung wir uns ausgesetzt fühlen, aber wir können in diesen seltsamen Zeiten erkennen, dass manches für uns als das „Unverfügbare“ (Hartmut Rosa) ernst genommen werden will und wir dennoch darauf reagieren können – und zwar alle zusammen, wenn wir uns mit Viktor Frankl von unserer Angst nicht alles gefallen lassen. Wenn wir bereit sind, den Regeln zu folgen, die diejenigen aufstellen, die wir als Autoritäten anerkennen können, die eine Mischung aus Wissen, Gelassenheit und Entschlossenheit mitbringen, um handlungsfähig zu bleiben, dann zeigen wir uns auf eine Weise solidarisch, die immerhin zeigt, dass wir Menschen im Angesicht der Krise zu mehr in der Lage sind, als Schuldzuweisungen, Hamsterkäufen, Verschwörungstheorien und populistischem Gebrüll. Die vielleicht sogar dazu führen, dass wir irgendwann im Rückblick erkennen können, dass diese Krise uns geholfen hat, eine neue Perspektive zu entdecken und wirklich Veränderung zu ermöglichen. Der kanadische Mediziner Abdu Sharkawy ruft derzeit dazu auf, unsere Angst mit Vernunft, unsere Panik mit Geduld und unsere Unsicherheit mit Bildung zu bekämpfen – Tugenden, die philosophische Qualitäten haben und damit deutlich machen, wie wichtig es ist und bleibt, sich seines Verstandes ohne fremder Hilfe bedienen zu können und das Ergebnis mit anderen zu teilen – in Zeiten von Corona und darüber hinaus. Bleiben Sie also wachsam, geduldig und gelassen, aber vor allem – bleiben Sie gesund.
18.03.2020
INA SCHMIDT