Ich hätte nicht gedacht, heute noch einmal im dichten Flockenwirbel übers Feld zu gehen. Schon dreimal nahm der Frühling Fahrt auf und veranlasste mit gewagten Temperaturen Primeln und Löwenzahn dazu, arglos ihre leuchtenden Blüten zu entfalten. Nun breitet sich eine frostig-weiche Schneeschicht darüber, die alle Farben verhüllt und den Vögeln Schweigen gebietet. Verhaltenes Piepsen hier und da, während Wildgänse und Entenpaare irgendwie ratlos am Bachufer herumstaksen, mit gedämpftem Elan und doch – wie mir scheint — in still harrender Duldsamkeit.
Weiterlesen „How fragile we are!“„Die Treppe im Teich“
Von ihr war gestern die Rede, denn sie benötigt gründliche Wartung.
Dieser einigermaßen profane Hinweis mit alliterativem Sound riss mich abrupt aus müden Lektüren und riss mich hin und fort. Vor meinem inneren Auge sah ich sie, diese baufällige, morsche Treppe, ich sah sie lichtvoll draußen in der Frühlingssonne glänzen, eine generöse Augenweide, der ich mich in meiner dumpfen, schattigen Büchergruft auf ungehörige Weise entzogen hatte: Nach den ausgebleichten oberen Stiegen, die noch aus dem Wasser ragten, ging es über eine zunehmend glitschige Stufenleiter hinab in immer trübere Regionen, hinein in eine kühle, undurchsichtige Unterwelt voller winzig-wimmelnder Teilchen und Lebewesen. Diese Treppe — so schien es mir — war ein Symbol für vieles.
Heidegger in schweren Zeiten?
Heimatverbundenheit und Bodenständigkeit sind Schlüsselworte in der Lebens- und Gedankenwelt Martin Heideggers. Es sind Worte, denen wir uns längst nicht mehr vorbehaltlos anvertrauen können, und zwar aus guten Gründen: Missbraucht in finstersten Zeiten haftet diesen Begriffen ein Geruch der Verdorbenheit an, ein Muff des Philiströsen und Engstirnigen, aus dem, wie wir gesehen haben und immer wieder sehen müssen, nur allzu leicht Ressentiment und Fremdenfeindlichkeit erwachsen. So ist zweifellos richtig: Nicht die fortschrittlichsten Kräfte unserer Zeit berufen sich auf diese Werte. —Denn wie soll man sich dazu bekennen, wenn ein Meer von Geflüchteten an den Außengrenzen Europas — herbe von uns zurückgewiesen — in Morast und verzweifelter Resignation versinkt? Zynisch erscheint es, von sozialer Zugehörigkeit, heimeliger Geborgenheit oder gar urwüchsiger Seinsnähe zu schwärmen, wenn immer mehr Menschen ihre Wurzeln kappen und zu Fuß ganze Kontinente durchqueren, um den elenden Zuständen ihrer Herkunfts- und Heimatorte zu entkommen. Weiterlesen Heidegger in schweren Zeiten?
Frei von der Leber weg?
Gestern habe ich ganz ungefragt und leider auch ohne jeden Zwang die Wahrheit gesagt. Sollte es nach Karl Kraus gehen, so verdiente ich keinerlei Nachsicht. Für ihn ist zwar eine Notlüge verzeihlich, nicht jedoch das unverblümte Aussprechen dessen, was man für die Wahrheit hält. Unwillkürlich drängt sich mir nun die Frage auf: Würde Karl Kraus immer noch so urteilen, angesichts einer gesellschaftlichen Realität, in der das Verhehlen, Vertuschen, Tricksen, Taktieren, Schwindeln und Belügen längst zur Normalität geworden ist?
Von der glückvollen Schwere des Himmels
Heute liegen die Wolken schwer auf den Wiesen und Äckern um mich herum. Doch so kurz vor Weihnachten sehe ich dem Himmel seinen Zustand gerne nach. Es fühlt sich für mich wie ein solidarischer Wink von oben an, denn in dieser Zeit des Jahres habe auch ich die starke Neigung, mich hängen zu lassen. Weiterlesen Von der glückvollen Schwere des Himmels
Kein Pappenstiel
Der Ford Explorer zwängt sich noch so eben durch die schmale Einfahrt, parkt mitten im Garagenhof. Herr X steigt aus, begrüßt die dort Wartenden, mich zuletzt. Zu diesem Zweck rückt er ganz nah an mich heran, berührt mich fast, so dass ich unweigerlich im spitzen Winkel emporblicken muss, zu ihm, dem Zwei-Meter-Mann. Eine Drohgebärde, wie ich sofort begreife, als der knappen Begrüßung harsche Worte folgen – über inadäquate Garagennutzung und unerlaubtes Rauchen auf dem Balkon. Weiterlesen Kein Pappenstiel
Geraniengerangel
Ich bin hoffnungslos von gestern. Worte wie Lauben- oder Lindengang kenne ich allenfalls aus der Lyrik Goethes oder der Romantiker. Sie rufen in mir milde Bilder von beschatteten Wegen, von flirrenden Sonnenflecken in weiten Parklandschaften oder stillen dörflichen Gärten hervor. Vermutlich wegen dieser eher unzeitgemäßen poetischen Neigung hat es mich eiskalt erwischt, als ich plötzlich eines dieser wundersamen Worte in einem nüchtern-prosaischen Anwaltsbrief zu lesen hatte. Weiterlesen Geraniengerangel
Und täglich grüßt das Trumpeltier
Meistens steht mein Handy auf „tonlos“. Zum Glück! Vergesse ich es, so kann ich neuerdings absolut sicher sein, dass die erste Nachricht jedes noch so jungen Morgens mir den Anblick Donald Trumps in mein schonend abgedunkeltes Schlafgemach hinüberträgt. Bevor ich noch am ersten Kaffee genippt und das Kissen geschüttelt habe, erscheint auf dem Handydisplay ein skurriles Frühstücksgedeck aus Banane, Fleischwurst- und Salamischeiben, kunstvoll arrangiert zu einem Porträt des 45. Weiterlesen Und täglich grüßt das Trumpeltier
Einschläge der Zeit
Wie ein Wegelagerer lauert es an beschaulichen Orten, springt unverhofft hervor und lässt uns zu Boden gehen: das Älterwerden. Seine Offensive ist jedem gewiss und dennoch bleibt all dies so unvorhersehbar wie eine Liebesgeschichte. Weiterlesen Einschläge der Zeit
„Das Jahr geht still zu Ende“
„Nun sei auch still mein Herz!“ – von klein auf habe ich dieses alte Kirchenlied geliebt, in dem es weiter heißt: „In Gottes treue Hände leg ich nun Freud’ und Schmerz.“ Keines meiner vielen seitdem verbrachten Lebensjahre klang je aus, ohne dass die frommen und betörend schlichten Anfangszeilen dieses Liedes unwillkürlich in meiner Seele neu erwachten. Weiterlesen „Das Jahr geht still zu Ende“